Kleine Weltverbesserung

Von Rudi Lindorfer · · 2006/12

Frohe und andere Botschaften in Buchform machen Weihnachten zum Lesefest, folgt man den Ratschlägen des Buchhändlers unseres Vertrauens.

Weihnachten ist ein globales (Freuden-)Fest, und das nicht nur für ChristInnen. Menschen, die keinen religiösen Sinn darin erkennen, freuen sich über die freien Tage. Mit welchen Mitteln die als froh bezeichnete Botschaft verbreitet und besonders die Menschen im „Süden“ „bekehrt“ wurden, gehört zu den Sünden des Abendlandes. Und ebenso ist die neue Botschaft für den Globus, eine des internationalen Kapitals, für viele Menschen keine frohe. Offensichtlich scheren sich die Geldmacher keinen Deut um das, was sie zu glauben vorgeben oder um das, was sie als ihr kulturelles Erbe bezeichnen.
Nicht wenige Stellen im Neuen Testament oder im Talmud verteufeln den Mammon, den un(ge)recht, z. B. durch Ausbeutung erworbenen Reichtum. Wohin es führt, wenn dieser Mammon schön geredet wird, beschreibt David Mitchell in seinem brillanten Roman „Der Wolkenatlas“. Am Beispiel von sechs Leben in 1.000 Jahren führt er in seinem Roman die Welt dem Untergang entgegen. Von der naiven Welterkundungssehnsucht des 19. Jahrhunderts über den industriellen Allmachtswahn im 21. in eine Zukunft, in der ich als Lebendiger nicht einmal begraben sein möchte.

In den Mikrokosmos von Bombay, wenn diese Bezeichnung bei einer 15-Millionen-Stadt überhaupt erlaubt ist, führt Vikram Chandra in „Der Gott von Bombay“. Spannender kann man den Kampf um Geld und Macht kaum beschreiben, zumindest wenn man auch die indische Kultur, Politik und Mafia, den Alltag der Armen und Reichen dieser Stadt hineinschreiben will.
Im Mittelpunkt des Romans von Kiran Nagarkars steht der mathematisch genial begabte Zia Khan, ein „global player“ aus Bombay. Anfangs ist er Terrorist, der Jagd auf Salman Rushdie macht und in Kaschmir Anschläge verübt; dann, als er erfährt, dass er kein Muslim, sondern ein Getaufter ist, tritt er in ein Trappistenkloster in Kalifornien ein und organisiert mit dem ihm eigenen Fanatismus einen Feldzug gegen die Abtreibung. Egal, zu welcher Religion er sich gerade voller Inbrunst bekennt, er glaubt, der Auserwählte zu sein: „Gottes kleiner Krieger“. Das Werk stellt essenzielle Fragen zu Glaubensinhalten und zur Verantwortung des Einzelnen – in einem atemberaubenden Stil.

Obwohl es in Zeiten der gigantischen Buchhandelskonzerne mittlerweile altmodisch zu sein scheint, glauben manche BuchhändlerInnen noch immer daran, dass sie mit Büchern mithelfen können, die Welt ein bisschen zu verbessern und/oder wenigstens ein Vergnügen in den Alltag mittels Büchern bringen zu können. Zu Letzterem zählt „Aya“, geschrieben von der Ivorerin Marguerite Abouet, gezeichnet von dem in Paris geborenen Clément Oubrerie. Ihre preisgekrönte Graphic Novel erzählt in Comic-Form schwungvoll die Geschichte einer lebensfrohen Jugend in Abidjan, Côte d’Ivoire. Die 19-jährige Aya, das schönste Mädchen des Viertels, will Ärztin werden und klemmt sich, zum Entsetzen ihres Vaters und zahlreicher Verehrer, hinter ihre Bücher, während ihre besten Freundinnen kein Teenager-Drama auslassen und ihre Lebensplanung auf „Ehemann angeln“ ausgerichtet haben. Ein witziges Buch, an dem, mangels Tradition der Graphic Novel bei uns, vor allem Jugendliche ihre Freude haben werden.
Schlussendlich gibt es ein neues Mutmachbuch: Katharina Mouratidis „¡Venceremos!“ Die Fotografin porträtierte 50 GlobalisierungskritikerInnen, u. a. die NobelpreisträgerInnen Rigoberta Menchú und Joseph Stiglitz; den arbeitslosen Michel aus Frankreich; Yusnita, die Rechtsanwältin aus Indonesien; Yozo Kuwano, den Eisenbahner aus Japan; Iluminada Garcia, die Bäuerin aus Paraguay… Und allen stellte sie die Frage: „Warum tust du das, was du tust?“ Die Antworten sind so ungewöhnlich wie vielfältig; gemeinsam aber ist ihnen „die Gewissheit, dass zum Überleben der Menschheit und unseres Planeten ein Bewusstseinswandel unumgänglich ist – hin zu einer anderen Globalisierung, von der alle Menschen und die Umwelt profitieren“. Das hört sich nach Frohbotschaft an.


Marguerite Abouet/Clément Oubrerie: Aya. Carlsen, Hamburg 2006; 105 bunte Seiten; EUR15,40
Katharina Mouratidi: ¡Venceremos!
Edition Braus, Heidelberg 2006; 128 Seiten mit 50 Farbfotos; EUR20,50
David Mitchell: Der Wolkenatlas.
Rowohlt, Reinbek 2006; 669 Seiten; EUR25,60
Kiran Nagarkar: Gottes kleiner Krieger.
A 1 Verlag, München 2006; 694 Seiten; EUR29,80#
Vikram Chandra: Der Gott von Bombay.
Aufbau, Berlin 2006; 796 Seiten; EUR25,60

Der Autor ist Buchhändler bei Südwind-Buchwelt und lebt in Wien.

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